Erste kurze Bilanz nach Ende Gelände im Mai 2016

Am Pfingstwochenende ging Ende Gelände in die zweite Runde. In einer ersten Bilanz feiern wir den großen Erfolg der Blockaden und gehen auf die haltlosen Gewaltvorwürfe von Seiten Vattenfalls und der lokalen Pro-Kohle-Lobby ein. Außerdem machen wir die zahlreichen
Gewalttaten gegen Aktivist*innen und Journalist*innen zum Thema. Keep it in the Ground – Ende Gelände geht weiter!

Presse-AG des Ende Gelände-Bündnisses (Stand 7.6.16)

Die kurze Bilanz als PDF

Am Pfingstwochenende ging Ende Gelände in die zweite Runde. Nach der erfolgreichen Blockade des Tagebaus Garzweiler im August 2015 hatte das Bündnis auf einer Aktionskonferenz, noch vor den Pariser Klimaverhandlungen, die Fortsetzung in der Lausitz verabredet. Zwei Wochen nach der Aktion ist es natürlich noch zu früh, umfassend politische Wirkungen abzuschätzen. Viele Folgeprozesse sind angestoßen. Demnächst werden wir ein Auswertungstreffen der Aktivist*innen machen und ausführlich diskutieren: Was ist uns besonders gelungen, was weniger? Was wollen wir für die nächste Aktion lernen?

Wir wollen hier dennoch eine erste Bilanz versuchen. Denn aus Sicht der Presse-AG lässt sich schon jetzt sagen:

  • Ende Gelände in der Lausitz war ein sehr großer Erfolg und ein Ereignis: ein notwendiges und unübersehbares Signal, dass Kohlekraft gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert wird; eine ermutigende Erfahrung für viele Klimaaktivist*innen und eine der größten Aktionen zivilen Ungehorsams der letzten Jahre; eine Aktion mit fast 4.000 Menschen aus vielen Ländern, mit viel Unterstützung durch Gruppen der Region, im Rahmen einer internationalen Kampagne – entschlossen, nicht eskalativ und ohne Menschen zu gefährden.
  • Vattenfall startete, um von seiner Verantwortung für globale und regionale Verwüstungen abzulenken und Ende Gelände zu diskreditieren, durchsichtige und völlig ungerechtfertigte „Gewalttäter“-Vorwürfe gegen unser Bündnis. Regionale Kohlelobby, AfD und Teile anderer Parteien übernahmen das, um ihrerseits von der Dringlichkeit eines sozial gerechten Strukturwandels abzulenken. Diese Ablenkungskampagne ist ein Skandal.
  • Die Hetze dieser Akteure förderte tatsächliche Gewalt in der Lausitz, die auf erschreckende Weise gegen Aktivist*innen und Journalist*innen gerichtet war. Auch darüber muss jetzt geredet werden.
  • Ende Gelände geht weiter. Wir sind gestärkt durch unsere gemeinsame Erfahrung, viele neue Aktivist*innen sind dazu gekommen, wir lernen aus jeder Aktion. Die Klima- und Energiepolitik der Regierenden zeigt: Ziviler Ungehorsam gegen fossile Energien ist jetzt nötig.

Ungehorsam gegen Kohle

Unsere Aktionstage waren sorgfältig geplant, offen kommuniziert und hatte eine klare Botschaft. Dies schicken wir voraus, weil es Hintergrund sein muss für jede Auseinandersetzung über Erfolge und Kritik. Mit Ende Gelände stehen wir in der langen Tradition zivilen Ungehorsams. Wo es um große Gefahren, um großes Unrecht geht, brechen Menschen massenhaft, klar verabredet und offen angekündigt Regeln. Ohne diesen Ungehorsam würde es das Erstreiten sozialer Rechte, den Widerstand gegen Nazis oder den Atomausstieg nicht geben. Wir zeigen damit übersehbar: Kohleverbrennung ist global so existentiell gefährdend und regional so verwüstend, dass sie jetzt gestoppt werden muss.

Warum war Ende Gelände im Mai 2016 in der Lausitz? Kurz zuvor hatten die Pariser Klimaverhandlungen erneut gezeigt, dass bisher alle Beschlüsse der Regierenden völlig unzureichend bleiben, um die globale Erwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen. Der Ausstieg aus fossilen Energien braucht unseren aktiven Widerstand. Die Lausitz ist einer der Orte weltweit, wo das ganz konkret wird. Denn hier steht mit dem Verkauf der Kohlesparte von Vattenfall eine entscheidende Weichenstellung an: Kohleausstieg jetzt – oder Ausweitung des Kohleabbaus über Jahrzehnte, im Interesse irgendwelcher Investoren. Wir sagen:„Wir sind das Investitionsrisiko! Wer in fossile Energieträger investiert, kauft den Widerstand dagegen mit ein.“

Wir wissen, dass wir damit in einen harten Konflikt intervenieren. Wir stehen seit Jahren in Kontakt mit Menschen und Gruppen in den Braunkohlerevieren, kennen Angst vor der Arbeitslosigkeit und vor der Zerstörung der Regionen. Wir fordern deshalb, gemeinsam mit ihnen, einen verträglichen, aber raschen Strukturwandel.

Gleichzeitig sind wir gut vernetzt mit vielen Aktivist*innen aus dem Süden der Welt, wo Menschen vor klimabedingter Dürre, Hunger und Überschwemmungen fliehen müssen, weil es um ihr Leben geht. Wir kämpfen deshalb an ihrer Seite gegen die tödlichen Verwüstungen der fossilen Energie. Warten werden wir nicht mehr.

Wir haben Ende Gelände in der Lausitz über sieben Monate geplant, mit vielen ganz unterschiedlichen Menschen, in vielen Arbeitsgruppen, mit der nötigen Zeit für tragfähige Konsense. Eine so große Aktion brauchte jede Menge Logistik und Support, von Einladungen, Anreise, Sanitäter*innen, Küche bis zu Kompostklos. Von internationalen Workshops bis zu klassischer Musik auf den Gleisen. Durch regionale Gruppen wurde Ende Gelände und das – organisatorisch unabhängige, schon lange in der Region verankerte Lausitzcamp – sehr unterstützt. Alle Entscheidungen zur Aktion wurden, nach bewährter Praxis der Bezugsgruppen und Delegierten-Plena, im Konsens getroffen. Noch während des Camps fanden letzte Aktionstrainings in mehreren Sprachen statt. Dadurch wurde erreicht, dass der verbindliche Aktionskonsens von Ende Gelände allen Aktivist*innen bekannt war und während der gesamten Aktion eingehalten wurde: Ende Gelände war nicht-eskalativ, die Sicherheit aller Beteiligten ging vor, wir haben keine Menschen gefährdet.

Ende Gelände in der Lausitz

Schon im Sommer 2015 wurde Ende Gelände, mit der Blockade im rheinischen Revier, zu einem starken Signal für das Ende der Kohlekraft: 1.500 Aktivist*innen aus etlichen Ländern durchflossen Polizeireihen, brachten dann, verfolgt von Security und Polizei auf RWE-Pickups, in der riesigen Grube Bänder und Abraumbagger zum Stillstand und wurden schließlich gekesselt. Im Umfeld der Pariser COP21-Proteste im Dezember war Ende Gelände einer der Kristallisationspunkte der transnationalen Klimagerechtigkeits-Bewegung geworden. So fanden in den Folgemonaten bundesweit über 100 Infoveranstaltungen und 40 Aktionstrainings für die Lausitz-Aktiontage statt, etwa 20 Busse meldeten sich aus anderen Ländern an.

Dass Ende Gelände in der Lausitz groß werden würde, war also schon früh klar. Der tatsächliche Verlauf übertraf aber alle Erwartungen. Schon das Klimacamp hatte eine ganz neue Dimension. Fast 4.000 Aktivist*innen gingen dann von Freitag bis Sonntag in Blockadeaktionen, die insgesamt 48 Stunden (bis Sonntag 15:00 Uhr) dauerten. Ab Freitag blockierten Großgruppen („Finger“) Kohlebagger im Tagebau Welzow-Süd und einen Kohle-Verladebahnhof des Tagebaus. Ab Samstag kam die Blockade der Schienen zum Kraftwerk Schwarze Pumpe dazu. Ein kurzzeitiger Versuch, diese Gleisblockade auf das Kraftwerksgelände auszudehnen, wurde durch die Polizei verhindert. Die Aktivist*innen zogen sich in weniger als einer halben Stunde wieder vom Kraftwerksgelände zurück.

Außerdem blockierten dann unterstützende Gruppen an drei Stellen Gleise durch Abseilen, eine Betonpyramide und Ankettaktionen. Auch diese Kleingruppen waren Teil der Aktion zivilen Ungehorsams gegen die Kohlekraft. Sie haben keine Menschen gefährdet, keine Kohle-Infrastruktur zerstört und entsprachen damit dem Aktionskonsens von Ende Gelände.

Diese zeitgleich sechs Blockaden stoppten die Kohlezufuhr der Schwarzen Pumpe. Erstmals musste damit ein großes Kohlekraftwerk in Deutschland aufgrund von Klimaprotesten weitgehend heruntergefahren werden. Nach unseren Informationen wurde ein Notbetrieb mit 20% der Leistung aufrecht erhalten. Entscheidend ist dabei das politische Signal: Wir meinen es ernst. Mit der Kohleverbrennung muss Schluss sein, wenn nicht noch mehr Menschen die Lebensgrundlage entzogen werden soll.

Übrigens war die Stromversorgung der Region, wegen der Struktur der Übertragungsnetze, natürlich nie gefährdet, die Fernwärme aufgrund des milden Wetters und mehrfacher Absicherung (auch Kraftwerke müssen gewartet werden) ebenfalls nicht.

Bei Abschluss der Blockade am Sonntag war klar: Ende Gelände hatte mit fast 4.000 Aktivist*innen den nicht-eskalativen Aktionskonsens eingehalten. Es gab keine Verletzungen von Polizist*innen und Arbeiter*innen (dies wird auch in keiner Mitteilung der Polizei oder des Betreibers behauptet). Zwei Aktivist*innen wurden durch Polizei verletzt, zwei weitere durch einen Angriff von Nazis auf das Camp.

Nach Angaben der Polizei werde gegen mehr als 130 Aktivist*innen, die auf dem Kraftwerksgelände waren, Ermittlungen wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch geführt. Im Zusammenhang mit der Räumung der Gleisblockaden seien 12 Anzeigen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte aufgenommen worden, 38 wegen Sachbeschädigung an den Gleisen und 163 wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr und Hausfriedensbruchs. Insgesamt seien (weiterhin laut Polizei) 270 Personen vorübergehend festgenommen und von 343 Aktivist*innen seien Personalien festgestellt worden. Wir wissen nicht, ob sich die Personalienfeststellung auf Räumungen oder Verkehrskontrollen bezieht. Jedenfalls haben die allermeisten Personen, die aus Blockaden geräumt wurden, ihre Personalien nicht angegeben.

Diese Angaben sind für eine so große Aktion zivilen Ungehorsams mit Gleisblockade eher gering (im Vergleich: 2015 hieß es im Rheinland, dass gegen 800 Aktivist*innen Strafantrag erlassen worden sei). Da schon jeder Sticker oder jeder aus dem Gleisbett entfernte Stein zum Vorwurf der „Sachbeschädigung“ führen kann, sprechen diese Vorwürfe nach unserer Kenntnis nicht gegen die Einhaltung des Aktionskonsenses.

Der Polizeieinsatz während der ungehorsamen Massenaktion war aus unserer Sicht überwiegend de-eskalativ, was nach Presseberichten auch mit der staatsanwaltlichen Einschätzung der Proteste zu tun hatte. Das Bündnis kritisiert jedoch das unverhältnismäßig scharfe Vorgehen gegen beteiligte Einzelpersonen und Kleingruppen sowie die teilweise chaotischen oder rechtswidrigen Bedingungen in der Gefangenensammelstelle für Aktivist*innen (z.B. Verweigerung von Trinkwasser und Kontakten).

Insgesamt befinden sich zur Zeit noch drei Personen in Haft, von denen zwei in Verbindung mit Ankettaktionen bzw. einer Betonpyramide (als Gleisblockade) gebracht werden. Das Bündnis fordert sehr klar ihre Freilassung, mehrere Solidaritäts- und Rechtshilfesrtukturen bemühen sich um ihre Unterstützung.

Bisherige Echos

Es ist zu erwarten, dass eine Aktion, die so weit wahrnehmbar und entschlossen in eine gesellschaftliche Kontroverse eingreift, sehr unterschiedliche Reaktionen auslöst.

In der Klimabewegung sehen sich viele Menschen, Gruppen und Organisationen gestärkt. Aktivismus für Klimagerechtigkeit bekommt neuen Drive, auch durch Ende Gelände. Die Aktion trug zum Erfolg der internationalen Kampagne „Break Free from Fossil Fuels“ im Mai 2016 bei. Obwohl die Blockaden sehr lange und anstrengend waren und einige Aktivist*innen unter unzumutbaren Bedingungen festgehalten wurden, haben sich auch Menschen mit wenig Aktionserfahrung fast durchweg ermutigt gefühlt. Ende Gelände war Teil von Protesten gegen Vattenfalls Verkaufspläne, die bis in das schwedische Parlament reichten. In bewegungsnahen Artikeln und Kommentaren heißt es, gerade angesichts der Unverbindlichkeit und fehlenden Umsetzung des kürzlich noch euphorisch gefeierten Pariser Klimaabkommens: „Die Lausitz schreibt (Anti-)Kohle-Geschichte“. Auch Wissenschaftler*innen beginnen, sich in Analysen zur Klimapolitik auf die Bedeutung von zivilem Ungehorsam gegen Kohle zu beziehen, so in einem Artikel aus dem Potsdamer Insitute for Advanced Sustainability Studies IASS. [1]

Die mediale Berichterstattung war insgesamt ausgewogen bis positiv. Als Beispiele nennen wir hier Artikel aus Spiegel Online („Die Aktion war perfekt geplant“), Die Zeit, Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel, Freitag, RBB-online („Herzschlagader von Schwarze Pumpe war abgeklemmt“), Tageszeitung und Neues Deutschland. Ähnlich berichteten das Heute-Journal und die Tagesthemen über das Anliegen von Ende Gelände. International wurde die Aktion und ihr Kontext bisher aufgenommen von u.a. The Times of India (Indien), Le Monde (Frankreich), The Guardian (UK), Svt Nyheter (Schweden) und The Nation (USA).

Das überregionale und besonders regionale politische Echo war erwartungsgemäß sehr kontrovers: Vertreter*innen der Grünen („Bewegungssamstag erster Klasse“) und der Linkspartei („friedliches Zeichen für eine ökologische und nicht profitgetriebene Energieversorgung“) stellten sich hinter die Proteste. Parlamentarische Beobachter*innen aus Bundestag, Landtagen und Europäischem Parlament trugen aktiv zur Deeskalation bei und bestätigten den insgesamt friedlichen Ablauf der Blockaden.

Aus den Landtagen von Sachsen (schwarz-rote Regierung) und Brandenburg (rot-rote Regierung) kamen dagegen schrille Töne: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) warf den Aktivist*innen vor, „den Strom für viele tausend Menschen gefährdet zu haben“, was technisch nicht möglich ist. Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) sprach von „Gewalt“, „Selbstjustiz“ und „aus ganz Europa angereisten Rechtsbrechern“. Ähnlich unsachlich berichtete auch ein Teil der Regionalmedien („Militante Kohle-Gegner lassen Vattenfall-Bahn entgleisen“). CDU-Abgeordnete des sächsischen Landtags bezeichneten Ende Gelände gar als „Terroristen“ [2], was angesichts des realen, globalen Terrorismus eine unglaubliche Entgleisung ist. Die Brandenburger AfD übernahm, wenig überraschend, dieses Wording. Ganz im Gegensatz dazu hatte, im Innenausschuss des gleichen Landtags, die Polizei am 26.5. eine insgesamt entspannte Bilanz der Aktionstage gezogen (Mitteilung/Tweet von Teilnehmer*innen der Sitzung).

Welchen Sinn haben falsche Anschuldigungen?

Die schrillen, diffamierenden Töne aus der Region sind offenbar größtenteils von Vattenfall Mining übernommen. Wir halten das für eine bewusste PR-Kampagne des Konzerns, um die Debatte von den Inhalten der Proteste und den realen Aufgaben in der Region abzulenken. Dafür wird bei Aktionen zivilen Ungehorsams leider immer wieder versucht, eine „Gewalt-Debatte“ loszutreten, so falsch die Vorwürfe und so gravierend die Konsequenzen der Hetze auch sein mögen.

Schon vor Pfingsten hatten Pro-Kohle-Bündnisse, die eng mit Vattenfall verfilzt sind, in der Region Stimmung gegen die Aktivist*innen gemacht. So hingen zahlreiche Plakate „Die Gewalt stoppen!“ in der Umgebung, was eine massive Unterstellung war und Menschen in der Region offenbar gezielt Angst machen sollte. Während der Blockaden verhielt sich der Konzern weitgehend zurückhaltend, die Vattenfall-Security war deutlich weniger präsent als RWE im Vorjahr in Garzweiler. Gleichzeitig wurde aber vehement eine wahrheitswidrige und hoch manipulative Erzählung aufgebaut, Ende Gelände habe „eine Spur der Verwüstung hinterlassen“ und Menschen gefährdet. Im Einzelnen wirft Vattenfall Ende Gelände vor, Aktivist*innen hätten Signalanlagen manipuliert, eine Bombenattrappe versteckt, Schäden an Leittechnik der Kohleverladung verursacht, Feuerlöscher entleert, durch Stroh einen Brand riskiert und Schäden durch das Eindringen auf das Kraftwerksgelände verursacht.

Davon trifft nach unserer Kenntnis allein der letzte Punkt zu, in Form eines beschädigten Zaunstücks. Falls es tatsächlich irgendwo noch weitere Sachbeschädigung durch einzelne der fast 4.000 Aktivist*innen gegeben haben sollte, bedauern wir dies. Nach allem, was inzwischen öffentlich ist, können das dann aber höchstens wenige, sehr überschaubare Fälle gewesen sein. Von der behaupteten „Bombenattrappe“ kennen wir noch nicht einmal ein Foto. Insgesamt wurde durch Journalist*innen, parlamentarische Beobachter*innen und Polizei bestätigt, dass fast vollständig und überall der nicht-eskalative Konsens eingehalten wurde und Ende Gelände keine Menschen gefährdet hat.

Das ist tatsächlich ein Riesenerfolg bei einer so ungewöhnlich großen, lange dauernden Aktion zivilen Ungehorsams und zeigt, wie manipulativ und völlig losgelöst von allen Fakten die Vattenfall-Kampagne ist!

Insbesondere weisen wir den gravierenden Vorwurf, „Kohlegegner wollten Züge zum Entgleisen bringen“ selbstverständlich scharf zurück. Er bezieht sich darauf, dass Aktivist*innen einzelne, sogenannte Gleisschuhe als Blockadehilfsmittel anbrachten. Ganz überwiegend befanden sich diese, offen sichtbar, im Bereich der großen, durch die Polizei am Sonntag Vormittag geräumten Sitzblockaden, dienten der Blockade und natürlich nicht der Entgleisung. Das Vorhandensein dieser Gleisschuhe im Bereich der Kohlebahn war demnach der Polizei (wie Tweets belegen) und damit auch dem Betreiber gut bekannt. Das gilt auch für die, von Vattenfall besonders genannte „Brücke über die Bundesstraße 97“.

Immer gilt: Der Betreiber muss Blockaden entfernen, wenn er seine Züge wieder rollen lassen will. So hatte Vattenfall auch bereits am Sonntag, dem 15.5., in einer PM festgestellt: „Kohlezüge erreichen wieder Kraftwerk Schwarze Pumpe / Am Nachmittag hat die Polizei die Gleisblockade von Ende Gelände vor dem Kohlebunker des Kraftwerkes Schwarze Pumpe beendet. Damit kann die Brennstoffversorgung des Kraftwerkes durch den Zentralen Eisenbahnbetrieb wieder in vollem Umfang aufgenommen werden.“

Eine Lok soll dann aber am Dienstag, dem 17.5., „über die Schienenkralle gefahren“ sein (als „kurzzeitiges Entgleisen“ bezeichnet). Das heißt aus unserer Sicht: Entweder sind die Gleisschuhe erst nach Beendigung der Ende Gelände-Blockade angebracht worden, durch wen auch immer. Dann hätten sie nichts mit Ende Gelände und unserem Konsens zu tun, sollen uns möglicherweise sogar diskreditieren. Oder Vattenfall hat, in Kenntnis der Gleisschuhe, zwischen Sonntag Nachmittag und Dienstag Morgen nicht die Kohlebahn kontrolliert, um alle Blockaden zu entfernen. Das aber wäre ein gravierender Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht, den Vattenfall nun Ende Gelände zuschieben will!

Wie manipulativ Vattenfall vorgeht, zeigt sich auch am Versuch, Aktivist*innen „mit Latten und Stangen“ als Bedrohung der Arbeiter*innen darzustellen (aus dem Vattenfall-Newsletter „Mining & Generation“, Mai 2016).[3] Nur wer genau liest, merkt: Hier wird gar nicht behauptet, Aktivist*innen hätten jemanden bedroht. Es wird schlicht versucht, eine diffuse Kulisse der Bedrohung aufzubauen, um damit Stimmung zu machen.

Welchen Sinn hat nun diese „Gewalttäter“-Kampagne von Vattenfall? Und warum übernimmt ein Teil der etablierten Politik sie so bereitwillig und unkritisch?

Der Konzern versucht damit, von seiner globalen und regionalen Verantwortung abzulenken. Vattenfall verpestet das globale Klima mit Megatonnen CO2. Für den Abbau der Braunkohle sind in der Lausitz schon jetzt 130 Dörfer dem Erdboden gleichgemacht worden, weitere sollen umgesiedelt werden, wenn der Kohleabbau weitergeführt wird. Angesichts dieser völlig legalen Zerstörung ist es absurd, einen beschädigten Zaun als „Schneise der Verwüstung“ zu bezeichnen. Diese manipulative, hetzende Kampagne von Vattenfall Mining fällt aber auf den gesamten Energiekonzern zurück, der gerade in Schweden versucht, sich ein neues, grünes Image zu verpassen.

Hinzu kommt, dass etliche Politiker*innen der Region schlicht die Augen verschließen vor der Notwendigkeit des raschen Kohleausstiegs. Sie haben ihren Wähler*innen jahrelang etwas vorgemacht und die nötigen Schritte für einen raschen Strukturwandel versäumt – also für den verträglichen, sozial gerechten Übergang aus der Kohleindustrie zu alternativen Wirtschaftsweisen und -zweigen. Sie versuchen nun – ein leider häufiges Muster – den Schulterschluss gegen vermeintliche „Gegner von außen“.

Gewalt gegen Ende Gelände

Die tatsächlich erschreckende Gewalt in der Lausitz richtete sich gegen Aktivist*innen und Journalist*innen. So griffen am Samstag, dem 14.5., mehrere Personen eine Mahnwache bei Terpe mit Baseballschlägern an und zerstörten ein Zelt. Aus der Pro-Kohle-Demonstration am Kraftwerk Schwarze Pumpe heraus wurden Blockierende bedroht und mit Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen. Mehrere Personen versuchten, den Wagen eines Journalisten von der Straße abzudrängen. Auf eine Gruppe, die ein Gleis blockierte, wurden Steine und Böller geworfen. Am Sonntagabend wurden zwei Aktivist*innen am Rande des Klimacamps angegriffen und verletzt. Etwa gleichzeitig bedrohten vermummte Personen, die als Security auftraten, Aktivist*innen auf einem Kohlebagger massiv. Die Polizei erteilte noch in der selben Nacht 57 Personen in der Nähe des Camps Platzverweise und musste das Camp schützen. Bei den identifizierten Personen handelte es sich unter anderem um polizeibekannte rechtsmotivierte Straftäter.

Nach Ende Gelände hat die Potsdamer Initiative „Opferperspektive“ eindringlich vor dem Verschweigen rechter Gewalttaten durch die Landespolitik gewarnt und eine Chronologie veröffentlicht.

Wir akzeptieren überhaupt keine Form von Bedrohung oder Gewalt gegen Menschen, die friedlich blockieren oder ihre Arbeit als Journalist*innen machen. Wir sehen einen direkten Zusammenhang zwischen der Stimmungsmache gegen Ende Gelände schon vor Pfingsten, der Vattenfall-Kampagne und den Übergriffen am Wochenende. Um von eigener Verantwortung abzulenken, schüren Vattenfall und Teile der Politik damit eine völlig unbegründete Angst vor Ende Gelände. Und wollen dann mit rechten Hooligans nichts zu tun haben, die Menschen angreifen. Das ist zynisch und der eigentliche Skandal der Hetze in der Lausitz.

Ende Gelände geht weiter

Ende Gelände goes on, wir machen natürlich weiter. Wir sind durch die Aktionstage in der Lausitz sehr ermutigt. Es waren großartige Erfahrungen: so viele engagierte, ganz unterschiedliche Menschen aus vielen Ländern, die warmherzige Unterstützung aus der Region, das wunderschöne, gut organisierte Camp, die internationale Aktionswoche „Break Free from Fossil Fuels“, deren Teil Ende Gelände war, und vieles, vieles mehr!

Wir werden, wie immer nach unseren Aktionen, wieder sorgfältig gemeinsam auswerten, was gut war und uns gelungen ist – und woraus wir lernen werden, um unser Bündnis weiter zu entwickeln.

Ende Gelände wird auch weiterhin in den unterschiedlichen Kohlerevieren aktiv sein. Wir bleiben natürlich im Kontakt mit Menschen und Gruppen der Lausitz, die gegen die Zerstörung der Dörfer und für einen schnellen, gerechten und verträglichen Strukturwandel kämpfen. Wir werden nach Kräften versuchen, sie zu unterstützen, wenden uns gemeinsam mit ihnen gegen rechte Stimmungsmache und Gewalt. Und freuen uns auf das nächste Lausitzcamp.

Wir werden uns noch intensiver transnational mit vielen Aktivist*innen vernetzen, im Süden der Welt und an den Orten fossiler Ausbeutung und Zerstörung.

Wir werden Verbindungen zwischen ökologischen und sozialen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen stärken, gerade in Zeiten rechtspopulistischer Hetze.

Im nächsten Jahr wird ein Schwerpunkt von Ende Gelände das Rheinland sein. Schon im Sommer 2016 wird das Klimacamp im Rheinland stattfinden. Dann folgt wieder eine Aktionskonferenz, gemeinsam mit den vielen neuen Aktivist*innen, die in der Lausitz dazugekommen sind.

Nach Ende Gelände ist vor Ende Gelände.

Keep it in the Ground – Kohle muss im Boden bleiben!

Verweise

[1]   http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/1079841/

„[…] Zum einen bekräftigen die Bilder der „Ende Gelände“-Proteste die zivilgesellschaftliche Entschlossenheit für einen ambitionierten, rechtzeitigen Klimaschutz und eine beschleunigte Dekarbonisierung vor dem Hintergrund einer eher schwachen Performance der Bundesregierung in Sachen Klimaschutz und bröckelnden internationalen Vorbildwirkung. Die Entschlossenheit für den zivilen Ungehorsam der rund 3000 Aktivisten rund um das Kraftwerk „Schwarze Pumpe“ am Pfingstwochenende für einen beschleunigten Ausstieg aus der Kohleverstromung wird dabei nach einer aktuellen Emnid-Umfrage von einer breiten öffentlichen Meinung gedeckt.

Zum anderen entlädt sich um die Proteste vom Pfingstwochenende auch die unbequeme Wahrheit, dass es neben den Chancen und den vielen Gewinnern der Energiewende (künftig und aktuell) eben auch Verlierer gibt – neben Unternehmen auch die hart arbeitenden Maschinisten der alten Energiewelt, mit ihren Familien und ihren Sorgen. Auch dies bringen die Bilder und Berichte von Gegendemos, „pro Kohle“ und die artikulierten Sorgen der Kraftwerksbelegschaft zutage. Eine Energiewende als Gemeinschaftswerk darf dies nicht aus dem Auge verlieren.

[…] Die Genese einer breiten, dauerhaften und zunehmenden öffentlichen zivilgesellschaftlichen Bewegung und zivilem Ungehorsam entlang der Artefakte der alten Energiewelt scheint nicht unwahrscheinlich. Sollte das schwedische Parlament in den kommenden zwei Monaten eine halbherzige Dekarbonisierungsstrategie mit dem Verkauf von Vattenfalls Braunkohlesparte – und nicht deren Stilllegung – durchwinken, dürfte dies die zivilgesellschaftliche Bewegung für einen raschen Kohleausstieg weiter stärken. Die friedliche Koexistenz von Windkraftanlagen und Schaufelradbaggern geht zu Ende – mit einer erstarkenden zivilgesellschaftlichen Bewegung für eine beschleunigte Dekarbonisierung vielleicht schneller als geplant. […]“

[2]   http://www.taz.de/!5304723/

„[…] Dass Union und SPD in Sachsen die Realität vollständig ignorieren, ist leider nicht auf die Einschätzung der Proteste beschränkt. Es trifft auch auf den Anlass zu: Obwohl völlig klar ist, dass Deutschland aus der Braunkohle deutlich früher aussteigen muss als derzeit geplant, vermitteln die Parteien den Menschen in Ostdeutschland den Eindruck, dass noch mehrere Generationen vom Abbau des Klimakillers leben könnten. Der notwendige Strukturwandel wird damit verhindert.

Nichts zeigt jedoch die Verlogenheit derjenigen, die eine „Gewaltorgie“ in der Lausitz beklagen, besser als die Tatsache, dass sie jene Gewalt gegen Menschen ignorieren, die es am Pfingstwochenende tatsächlich gab. Die richtete sich gegen die Klimaaktivisten, und zwar nicht nur seitens Rechtsextremen, sondern auch seitens Teilnehmern einer eher bürgerlichen Pro-Braunkohle-Demonstration. Kein Wort dazu von Union und SPD.

Wenn man sich dieses faktenfreie Hetzen gegen angebliche Gewalt von Linken bei gleichzeitigem Ignorieren der tatsächlichen Gewalt gegen Linke anschaut, fragt man sich: Wozu braucht Sachsen eigentlich noch die rechtspopulistische AfD?“

[3]               [Zitat Produktionsleiter] „Zu Beginn der Aktion sind die Kollegen aus der ersten Schicht zur Verstärkung auf den Geräten geblieben. Als wir erfuhren, dass die Aktivisten mit Latten und Stangen ausgerüstet waren, mussten wir entscheiden unsere Leute von den Geräten abzuziehen. Etwas anderes hätte ich nicht verantworten können und wollen.“